„Change the way you look at things and the things you see will see“ ist ein Zitat vom amerikanischen Psychologen und Autor Wayne Dyer und zugleich die Einstellung, die ich täglich verfolge und mit der ich mich in der Welt bewege. Da ich Europa, die USA und Australien bereits verhältnismäßig gut kenne, war es nun an der Zeit mich einmal in das auf den ersten Blick so fremde Asien zu wagen. Genauer gesagt habe ich mich dazu entschieden, ein Auslandsjahr in der zweitgrößten Volkswirtschaft und dem bevölkerungsreichsten Land der Welt zu verbringen: China.
Die Entscheidungsfindung – Warum ich mich für China entschieden habe
Schon immer hatte ich ein gewisses Grundinteresse für die chinesische Kultur und Sprache. Es gibt unzählige Vorurteile und keiner scheint so wirklich zu wissen, was China ausmacht und wie die Chinesen tatsächlich sind. Häufig werden mit China nur das ungewöhnliche Essen, die schwere Sprache oder Marotten wie Spucken und Rülpsen assoziiert. Noch immer ist China vielen als „Werkbank der Welt“ und für die billige Arbeitskraft bekannt. Ich selbst wusste auch nicht viel mehr über China und war daher der Meinung, es sei an der Zeit, das Reich der Mitte, das vor allem wirtschaftlich weltweit eine immer größere Rolle spielt, kennenzulernen.
Ein weiterer Grund war für mich, dass ich nach dem Abitur eine weitere Fremdsprache erlernen wollte. Chinesisch bzw. Mandarin gilt häufig als ultimative Herausforderung aller Fremdsprachen. Da ich Herausforderungen liebe war Chinesisch die perfekte Wahl und somit ein zweiter ausschlaggebender Grund, dass ich mich für China entschieden habe.
Meine Einsatzstelle – Das Goethe-Sprachlernzentrum an der Fremdsprachenuniversität Xi’an
Das Goethe-Sprachlernzentrum an der Fremdsprachenuniversität Xi’an ist eines von insgesamt neun Sprachlernzentren in China, die alle Kooperationspartner des Goethe-Instituts in Beijing sind. Der Hauptunterschied zum Goethe-Institut ist, dass die Sprachlernzentren keine eigene Kulturabteilung haben und ausschließlich Sprachkurse anbieten. Da sich die Kultur aber nicht von der Sprache trennen lässt und das Goethe-Institut es sich zur Aufgabe gemacht hat ein „umfassendes Deutschlandbild“ zu vermitteln, werden Freiwillige in einigen der Sprachlernzentren platziert, um die deutsche Kultur durch entsprechende Zusatzangebote weiterzutragen und verständlicher werden zu lassen.
Das Goethe-Sprachlernzentrum in Xi’an kooperiert zusätzlich mit der Fremdsprachenuniversität Xi’an und befindet sich auf dem alten Campus der Universität. Mittlerweile werden in diesem Sprachlernzentrum seit über zehn Jahren Deutschkurse angeboten.
Von der Organisation kultureller Veranstaltungen bis zum Marketing – Meine Aufgabenbereiche
Meine Aufgabenbereiche im Sprachlernzentrum waren vor allem eins: vielseitig! Ich hatte großen Freiraum sowohl in der Auswahl als auch der Ausführung der jeweiligen Bereiche und konnte somit über den Tellerrand einzelner Arbeitsfelder hinausblicken. Dennoch bestand meine Hauptaufgabe darin, die deutsche Kultur durch die Planung und Durchführung kulturell-orientierter Veranstaltungen an die Studenten des Sprachlernzentrums zu vermitteln. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, veranstaltete ich unter anderem ein Oktoberfest, eine Weihnachtsfeier, Spiel-, Koch- und Filmabende und Präsentationen über Themen wie das deutsche Hochschulsystem. Außerdem habe ich eine Deutsche Ecke zum interkulturellen Austausch ins Leben gerufen und ein dreiteiliges Seminar mit dem Titel „Deutschland – Ein Land mit vielen Facetten“ entworfen und angeboten sowie einen Postkarten-Design-Wettbewerb initiiert. Neben solchen Veranstaltungen durfte ich zusätzlich die Bereiche Marketing und Öffentlichkeitsarbeit unterstützen. So war es beispielsweise meine Aufgabe, unseren Blog zu pflegen und unseren WeChat-Account mit Inhalten zu füllen. Darüber hinaus habe ich die Website des Sprachlernzentrums umgestaltet und ein Design für ein Schreibheft, welches zu Werbezwecken ausgegeben wird, entworfen.
Mehr als „nur“ ein FSJ – Der Sprachkurs an der Xi’an International Studies University
Neben dem Freiwilligendienst selbst habe ich zusätzlich an der Xi’an International Studies University (XISU) an einem Sprachkurs teilgenommen. Vier Stunden pro Tag durfte ich Mandarin lernen, was überraschenderweise einfacher war als ich es damals erwartet hatte. Durch den täglichen Unterricht lernte ich nicht nur die Sprache, sondern kam auch mit vielen Internationals in Kontakt, die insbesondere in China häufig eine enge Community bilden. Weil in Zhongguo, wie China auf Chinesisch heißt, nur ein Bruchteil der Bevölkerung Englisch spricht, war es eine große Hilfe den Kurs zu besuchen. Auch im Sprachlernzentrum waren meine wachsenden Chinesisch-Kenntnisse von Vorteil, um kurze Texte auf Chinesisch zu verfassen und mich mit jenen Studenten zu unterhalten, die erst gerade begannen Deutsch zu lernen.
Von der Chinesischen Mauer bis zu einem TV-Interview – Meine prägendsten Erlebnisse
Während meines Auslandsjahres habe ich nicht nur viel gearbeitet, sondern auch viel erlebt und gesehen. Unter anderem bin ich während der Zeit in Australien, Vietnam und Kambodscha gewesen, habe mir aber auch viele Orte und Städte innerhalb Chinas angeguckt (Shanghai, Beijing, Hongkong…). Die Chinesische Mauer war dabei sicherlich eines der Highlights und die Wanderung auf ihr eines der schönsten Erlebnisse. In Xi’an selbst durfte ich unter anderem an der TEDxXi’an Women Conference 2017 teilnehmen und habe die während meines Auslandsjahres von mir gemachten Fotografien in einer großen Fotoausstellung ausstellen dürfen. In einem anschließenden TV-Interview hatte ich dann noch die Möglichkeit für den interkulturellen Austausch zu werben und meine Erfahrungen zu teilen.
Prägend waren aber vor allem auch die Begegnungen mit Menschen. Das Interesse an meiner Person war immer sehr groß, vor allem auch da man in China als Europäer auch heute noch eine Besonderheit ist. Neben vielen Fotos und Selfies, für die ich posiert habe, habe ich aber auch sehr viele Chinesen kennengelernt, die an der deutschen Kultur interessiert waren und mir einen Einblick in ihr Leben und ihre Sichtweisen gewährt haben.
Heute sehe ich China mit anderen Augen – Das habe ich während meines Auslandsjahres gelernt
Ich habe aber nicht nur viel erlebt, sondern auch eine ganze Menge gelernt. Durch mein Auslandsjahr weiß ich viele Dinge in Deutschland jetzt erst wirklich zu schätzen und habe gemerkt, wie privilegiert wir in Deutschland und als Europäer eigentlich leben. Hiermit beziehe ich mich vor allem auf die politische Situation: China ist ein kommunistisches, von einer einzigen Partei regiertes Land, das eine andere Vorstellung von Themen wie Menschenrechten und Bereichen wie Presse- und Meinungsfreiheit hat, als wir vertreten. Die Kontrolle durch die Regierung ist allgegenwärtig. Im Alltag wird man zum Beispiel durch die ausgedehnte Zensur, die auch soziale Medien wie Facebook und Instagram umfasst, immer wieder daran erinnert.
Nichts desto trotz befindet sich China zurzeit im Umbruch und ich würde behaupten, dass der ehemals „schlafende Drache“ schon längst erwacht ist. In vielen Bereichen befindet sich das Land auf der Überholspur und ich konnte förmlich spüren, wie es wirtschaftlich und teilweise technologisch am Westen vorbeizieht. Mobiles Bezahlen, eine ausgeklügelte Verkehrsinfrastruktur und die Belt and Road Initiative sind nur einige Beispiele, die den Fortschritt Chinas verdeutlichen.
Doch auch im kleinen Format, für und über mich persönlich, konnte ich eine Menge aus dem Jahr mitnehmen. Selbstverständlich habe ich festgestellt, dass viele Vorurteile, die wir gegenüber Chinesen pflegen, nicht oder nicht mehr zutreffend sind. Es wird weder ständig gerülpst, noch isst die Mehrheit der Chinesen Hundefleisch. Ich habe mir von den Chinesen vor allem die Offenheit gegenüber neuen Technologien abgeschaut, die mit solchen ganz im Gegensatz zu den meisten Deutschen, wenige bis keine Berührungsängste haben. Auch bin ich ein ganzes Stück flexibler geworden, musste für mich aber auch feststellen, dass China selbst nach einem Jahr noch immer nicht wirklich familiär wirkt. Zwar konnte ich mich meiner Einschätzung nach kulturell durchaus gut anpassen, habe aber trotzdem gemerkt, dass ich mich mit dem westlichen Lebensstil mehr identifizieren kann.
Das große Ganze – Mein Beitrag zur Völkerverständigung
Die Idee eines Freiwilligendienstes ist aber nicht nur für sich selbst viel zu lernen, sondern auch sein Heimatland als eine Art junger Botschafter zu vertreten und sich somit aktiv am interkulturellen Austausch zu beteiligen. Auf der einen Seite vermittelt man als Freiwilliger die eigene Kultur und die damit verbundenen Wertvorstellungen, lernt aber auch die des Gastlandes kennen und bringt die dadurch entstandenen Eindrücke und Erkenntnisse am Ende mit zurück in sein Heimatland. Dieser Beitrag zur Völkerverständigung ist meiner Auffassung nach nicht zu unterschätzen und auch im kleinen Format elementar. Durch die von mir angebotenen Veranstaltungen, die vielen Gespräche, meine Fotoausstellung und kleine Gesten wie das Posieren für Fotos und Beantworten von Fragen, glaube ich, meinen Beitrag hierzu geleistet haben zu können.
Mein Fazit – Würde ich es nochmal machen?
Würde ich noch einmal ein Auslandsjahr machen? Aber klar doch, die Frage ist nicht ob sondern vielmehr wann! Für mich war China ein riesen Abenteuer, eine Zeit, die vor allem lehrreich und augenöffnend war. Die Kombination aus Sprachkurs und Freiwilligendienst war für mich die perfekte Wahl, China als Land ebenfalls die richtige Entscheidung. Gerade weil das Land so anders ist konnte ich einen anderen Blick auf China, aber auch auf Deutschland gewinnen. Zwar haben sich meine Wertvorstellungen nicht grundlegend verändert, dennoch habe ich meine Einstellung gegenüber einigen Bereichen geändert. China und Asien erscheinen mir nun deutlich nahbarer und familiärer. Dennoch fühle ich mich nach dem Jahr umso mehr der deutschen Kultur und dem europäischen Gedanken verbunden. China gänzlich verstehen werde ich wohl nie, aber zumindest sind mir viele Praktiken nun verständlicher geworden. Als Destination für ein Auslandsjahr ist China absolut zu empfehlen, persönlich kann ich mir aber nicht vorstellen bei der jetzigen politischen Lage für eine längere Zeit in dem Land zu leben. Mein China-Abenteuer ist nun vorbei und ich nehme unglaublich viele Erfahrungen, Eindrücke, Erlebnisse und Freundschaften daraus mit. Es war eine unvergessliche Zeit, die mich zum Nachdenken gebracht hat und mir zugleich einmal mehr bewusst werden ließ, wie bunt und vielseitig unsere Welt doch ist.
Dies ist mein letzter Blogbeitrag auf MeinChinaAbenteuer. Die Website und Beiträge bleiben weiterhin bestehen, es werden jedoch keine neuen Artikel mehr folgen. Ich bedanke mich bei all denjenigen, die meine Beiträge gelesen haben und meinen Blog während den vergangenen Monaten verfolgt haben. Ich hoffe, ich konnte Euch die chinesische Kultur etwas näherbringen und bei dem ein oder anderen vielleicht ja sogar den Gedanken entfachen, China einmal selbst zu erkunden. So oder so, herzlichen Dank für die unzähligen Kommentare, die über 10.000 Besucher, die mir entgegen gebrachte Unterstützung und Eurem Interesse! 谢谢!